Selbstbewusst zum Coming-Out: Wie ein Schüleraustausch Mut machte
Jessica / AFS e.V.
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Die Welt aus einer ganz neuen Perspektive kennen lernen und dabei viel über sich selbst erfahren: Durch einen Schüleraustausch werden Jugendliche selbstbewusster und erfahren oftmals einen Ort, der Menschen jeglicher sexueller oder geschlechtlicher Orientierung akzeptiert. Diese Erfahrung machte auch Schüler Tim während seines Austauschjahrs in Argentinien. Mit wachsendem Selbstbewusstsein outete er sich während seines Auslandsaufenthalts mit AFS und schließlich auch daheim als schwul.
Vermutet habe er es bereits länger. Doch sicher, ob er wirklich schwul sei, war Tim zu Beginn seines Austauschjahrs als 16-jähriger Schüler nicht. Umso entscheidender hat sein Schuljahr in Argentinien dazu beigetragen, dass er sich selbst und seine eigene Orientierung entdecken konnte. „Vor meinen argentinischen Freunden habe ich mich anfangs nicht geoutet, da wusste ich das selber aber auch noch nicht so richtig“, erklärt Tim rückblickend. Den ersten Schritt an die Öffentlichkeit wagte er erst, als er seinen damaligen Freund kennen- und lieben lernte. Gemeinsam weihten sie schließlich den argentinischen Freundeskreis ein und erhielten durchweg positive Resonanz.
„Liebe ist Liebe […] es ist egal, wer das am Ende ist“
Obwohl durch diese Erfahrung bestärkt, scheute sich Tim während seines Austauschjahres, sich auch vor seiner Gastfamilie zu outen – aus dem einfachen Grund, so berichtete er, dass „Argentinien ein sehr katholisch geprägtes Land“ sei und er sich nicht sicher war „wie sie reagiert hätten“. Der entscheidende Schritt geschah erst nach seinem Aufenthalt per WhatsApp. In einer Chatnachricht an seine Gastmutter bemerkte Tim, dass er „anders als ihre anderen Kinder sei“. Die Reaktion erfolgt prompt und ganz anders als befürchtet: „Liebe ist Liebe. Sie lieben jemanden und du liebst jemanden, es ist egal, wer das am Ende ist. Du bist und bleibst mein Sohn“, lautete die simple und doch so bedeutungsvolle Antwort seiner Gastmutter.
Ein Outing mit unerwarteten Folgen
Gewisse Konsequenzen hatte es dennoch, dass Tim seine Gastfamilie eingeweiht hat: „Wenn sie heute erfährt, dass ich einen neuen Freund habe, muss ich ihr immer direkt ein Foto von uns schicken“, lacht er. Am einschlägigsten empfand Tim jedoch die Wirkung des Austauschjahrs und seiner dortigen Coming-Out-Erfahrung auf seinen weiteren Lebensweg: Vor seinem Austauschjahr sei er sehr schüchtern gewesen. Heute sei er viel selbstbewusster und offener, was ihm letztendlich auch den Mut verlieh, sich vor seiner Familie und dem Freundeskreis in der Heimat zu outen.
Gute Ratschläge unter Jugendlichen
Freunde und Rückhalt seien für Tim generell die wichtigsten Faktoren für sein eigenes Coming-Out und die persönliche Entwicklung. Bereits in Argentinien haben sich andere Jugendliche mit ihm offen im Internet über das Thema ausgetauscht. Inzwischen ist er selbst als Ehrenamtlicher für Teilnehmende, die sich auf einen Lateinamerika-Aufenthalt vorbereiten, tätig. Aus eigener Erfahrung rät er Jugendlichen, die sich in einer ähnlichen Situation befinden, sich vor einem Austausch in queeren Fragestellungen beraten zu lassen. Davon abgesehen lautet sein allgemeines Fazit: „Auf jeden Fall machen“, denn ein Austauschjahr mache mutiger, zu sich selbst zu stehen.