Erfahrungen einer Gastmutter

Gastfamilie für den Schüleraustausch: ein Resümee

Unsere Erfahrungen als Gasteltern

Die Welt ist zu mir nach Hause gekommen, hat mein Verständnis für andere Menschen, Länder und Sitten erheblich erweitert und ich habe mit jedem Kind immer etwas dazu gelernt.

Gastfamilie werden

Es begann vor fast zehn Jahren mit einer kleinen Anzeige in der Zeitung. Ein Verein suchte Gasteltern für Kinder aus Russland. Der Aufenthalt sollte für 3 Monate sein, den Besuch einer deutschen Schule inbegriffen. Für mich war es faszinierend. Ob es meine Familie damals auch so sah, weiß ich nicht. Mein Sohn war damals 16 und meine Tochter 12 Jahre alt.

Ich nahm Kontakt zu dieser Organisation auf und das Abenteuer begann. Unser erstes Gastkind war ein Junge aus Moskau und stellte sich als Herausforderung dar. Es war alles neu, ein neues Familienmitglied, eine andere Mentalität, eigene Kinder die eifersüchtig waren und, und, und. Ich glaube, alle waren froh, als der dreimonatige Aufenthalt zu Ende ging. Meine erste Reaktion war damals: Nie wieder! Man soll niemals nie sagen und so folgten drei weitere Gastkinder, diesmal alles Mädchen, nach einem Jahr Pause.

Rita aus Moskau, Sofia und Nastja aus Cherepovez. Alle jeweils für drei Monate. Der Abschied von allen Dreien fiel schwer und so entschlossen wir uns, ein Gastkind für ein Jahr aufzunehmen. Nach Russland kam Italien und damit unsere Irene. Es war wie immer, die erste 3 Monate gingen ins Land und man mußte sich gegenseitig kennenlernen. Wie ist unser neues Familienmitglied, was mag sie, was nicht? Aber auch umgekehrt war es ein Kennenlernen. Wie tickt meine neue Familie, wieviel anders ist sie als meine zu Hause in Italien, warum muß ich das so machen und nicht wie ich es kenne? Die Schule, es ist ein Gymnasium, war ein weiteres großes Abenteuer. Dann ist da noch eine Gastschwester die mich nicht „mag“. So viele Dinge machen es für alle Beteiligten zu einem echten Abenteuer. Als nach 9 Monaten der Abschied naht, wurde es immer trauriger zu Hause und es war klar: Wir nehmen wieder ein Gastkind auf. Leider vermittelte die Organisation, mit der Irene in Deutschland war, keine Schüler mehr und so saßen Irene und ich zusammen und bewarben uns bei einer neuen Organisation um ein neues Gastkind.

Nachdem alles beantragt und auch unsere zukünftigen Betreuer einen Besuch gemacht hatten, kamen die ersten Vorschläge. Diesmal sollte die große weite Welt zu uns nach Hause kommen und Victor aus Brasilien, diesmal ein Gastkind von einem anderen Kontinent, kam zu uns. Er fügte sich sehr schnell ein, fand in der Schule schnell Freunde. Die Mentalität der Südamerikaner ist eine ganz andere als in Europa, auch das mußte erst wieder gelernt und akzeptiert werden. Der Kontakt zum Elternhaus gestaltete sich eng, genauso wie bei Irene. Auch die Eltern der Gastkinder müssen erst loslassen und auch Vertrauen in die Gastfamilien haben, denn die Probleme können nur hier gelöst werden und dazu sind die Gastfamilien ja auch da. Victor verlängerte seinen Aufenthalt noch um einen Monat. An dieser Stelle möchte ich ein paar Bemerkungen zur Gastfamilie machen.

Es ist nicht nur, dass wir unseren Gastkindern Essen, Trinken und ein Bett zur Verfügung stellen, Anerkennung, Trost, Hilfe und das Akzeptieren des „Anders sein“ gehört zum Aufenthalt mit dazu. Mit jedem Gastkind wird der Blick auf die Welt ein anderer und man geht offener mit fremden Menschen um.

Nach Victor kam Masataka aus Japan. Was für ein Unterschied der Kulturen. Konnte der Körperkontakt bei den Südamerikanern nicht eng genug sein, war hier die persönliche Komfortzone so weit, dass es erst einmal eine gehörige Umstellung war. Ich erzähle gerne die Anekdote: Als wir Masataka in Köln abgeholt haben, habe ich ihn zur Begrüßung umarmt; ich hatte schlagartig einen Stock im Arm, so hatte sich der Junge versteift. Erschwerend kam hinzu, dass das Sprachverständnis sehr gering war und er 600 Kilometer bis zu uns nach Hause keinen Ton von sich gab. Auch die Schule machte da keine Ausnahme und wir mußten den Stundenplan anpassen. So besuchte er abwechselnd die 5., 6. und 7. Klasse für Deutsch und alle anderen Fächer weiter die 10. Klasse, so dass er weiter mit gleichaltrigen Schülern Kontakt hatte. Masataka war sehr schnell in der Schule bekannt. Er hatte Freunde, mit denen er zusammen zum Basketball ging. Was aber nun mit der Sprache? Ich fing zu dieser Zeit an, brasilianisches Portugiesisch zu lernen, und Masataka setzte sich dazu und lernte Deutsch. Ich war manchmal am verzweifeln aber wir hatten auch sehr viel Spaß und ein paar Worte Portugiesisch sind auch im Gedächtnis von Masataka geblieben.

Nach Weihnachten kam wie bei allen dann der sprachliche Ruck und bis zu seiner Fahrt nach Hause zurück war er auch sprachlich gut drauf. Auch hier fiel der Abschied sehr schwer und ich habe noch niemals einen Japaner weinen sehen.

Wenn man jetzt alles so liest, könnte man denken: Eine super Gastfamilie. Ist vielleicht auch so, aber es gibt immer im Hintergrund Menschen, die als Betreuer arbeiten, bei denen man sich Hilfe holen, einfach auch mal „Dampf“ ablassen kann oder die nur mal zuhören. Dafür möchte ich mich an dieser Stelle bedanken. Danke euch allen.

Ein Gastkind war eine besondere Herausforderung, die Schule hatte es bereits in seinem Heimatland beendet. Da das Programm ein reines Schulprogramm ist, ist der Schulbesuch Pflicht. Was aber, wenn die Motivation dafür fehlt? Das erste Gespräch mit dem Direktor fand denn im Dezember statt. Es brachte bis zu den Winterferien etwas. Unser Gastkind stand für alles, was man in einem Austauschprogramm nicht machen sollte. Es waren viele Gespräche, emotionsgeladen auf beiden

Seiten und eine Erleichterung bei Beendigung des Programms. Auch das sind Erfahrungen aus denen man als Gasteltern lernt. Einen Wunsch hatte mein Gastkind damals: Eine Gastschwester oder Gastbruder. Über die Jahre haben meine Kinder das Haus verlassen und haben eigene Lebenspartner. Ich fand die Idee nicht schlecht und so wurde sie in die Tat umgesetzt. Die Zimmer wurden frisch renoviert und zwei neue Gastkinder sind eingezogen.

Vom Temperament her wie Feuer und Wasser und aus zwei unterschiedlichen Herkunftsländern. Wir sind noch in der Findungsphase, aber glauben sie mir, es ist nicht immer leicht. Am Ende des Austauschprogramms kann ich mehr dazu sagen.

Ich möchte an dieser Stelle ein kleines Resümee ziehen. Mittlerweile habe ich zehn Kinder, davon 2 eigene. Ich möchte die Erfahrungen, ob Gute oder Schlechte, beides gehört dazu, nicht missen. Die Welt ist zu mir nach hause gekommen, hat mein Verständnis für andere Menschen, Länder und Sitten erheblich erweitert und ich habe mit jedem Kind immer etwas dazu gelernt. Auf 3 Kontinenten und somit 6 Ländern steht uns jederzeit die Tür offen, da uns die Familien der Gastkinder etwas zurückgeben wollen. So haben sowohl mein Mann und ich einmal, als auch meine Tochter zwei Mal Irene in Italien besucht. Ich habe zwei Mal Victor und seine Familie in Brasilien für jeweils einen Monat besucht und erst im letzten Jahr waren mein Mann und ich bei Masataka und seiner Familie in Japan

Der Kontakt ist nicht abgebrochen und wie bei meinen eigenen Kindern, verfolge ich den Werdegang meiner Gastkinder. Es ist interessant was aus den 16 jährigen pubertierenden jungen Menschen in ihren Heimatländern wird. Unsere Rita ist die Erste, die geheiratet hat, das Studium beendet und eine gute Arbeitsstelle gefunden hat. Im Dezember grüßte uns auf vielen Plakaten, Sofia als Model, einfach nur schön. Viele studieren und werden sicher dann auch ihren Weg gehen.

Zum Schluß, wünsche ich Ihnen allen viel Spaß mit ihren Gastkindern, geben sie Ihnen etwas aus ihrer Familie mit und nehmen sie etwas für ihre Familie mit.

Herzlichst Bärbel,
eine von vielen Gastmuttis

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