Mein Schüleraustausch in Cádiz, Spanien
Marie | |
2022/23 | |
AJA-Stipendium
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Das Gefühl, als das Flugzeug abhob, war unbeschreiblich. Aber es war ein gutes Gefühl. Es war, als würde die Freiheit mich umarmen.
„Mama, wenn was mit Oma und Opa ist, dann sagst du mir das, okay?“, es waren noch zwei Nächte bis zu meinem Flug. Ich stand heulend neben meiner Mutter, die gerade dabei war, meine Lieblingsklamotten zu waschen. Ich hatte zwar Wochen zuvor schon einmal Probe gepackt, doch dann alle meine Klamotten mit in den Urlaub genommen und wurde jetzt einfach nicht fertig. Die Klamottenberge und der große, offene Koffer machten mein Zimmer unbegehbar. Das Packen stresste mich extrem, obwohl ich beim Vorbereitungsseminar so ein gutes Gefühl gehabt hatte. Ich wollte unbedingt nach Spanien und hatte gelernt, wie ich mit Heimweh und Kulturschock umgehen würde.
Als ich endlich mit Packen fertig geworden war, freute ich mich aber auch schon wieder auf Spanien. Ich checkte minutiös das Wetter und irgendwelche WhatsApp Gruppen. Mein Flug ging Freitagmorgen von Frankfurt, so dass meine Mutter und ich mitten in der Nacht von uns zuhause losfahren mussten. Von meinem kleinen Bruder hatte ich mich schon am Abend zuvor verabschiedet, meine Schwester und mein Vater waren mit uns aufgestanden und winkten dem Auto hinterher, bis wir um die Kurve gebogen waren. Meine Mutter war viel aufgeregter als ich, doch auch ich konnte im Auto nicht schlafen. Ich flog zusammen mit anderen Austauschschülern, die ich beim Vorbereitungsseminar kennengelernt hatte und die noch gute Freunde von mir werden würden. Von meiner Mutter verabschiedete ich mich, bevor ich durch die Sicherheitskontrolle ging. Es war eine seltsame Umarmung. Dann konzentrierte ich mich wieder auf die Sicherheitskontrolle. Alles kam mir riesig vor. Glücklicherweise gingen die anderen vor. Wir gingen gemeinsam zum Flieger, doch mussten uns dann wieder trennen, weil wir nicht zusammen saßen. Das Gefühl, als das Flugzeug abhob, war unbeschreiblich. Aber es war ein gutes Gefühl. Es war, als würde die Freiheit mich umarmen.
In Spanien wurden wir von unserer Koordinatorin Rocío abgeholt und zu unseren Gastfamilien gebracht. Kurz vor Cádiz brachen alle in Hektik und Unruhe aus. Einige Mädchen erneuerten ihr Make-up, viele von uns zupften an Haaren und Kleidung, alle waren supernervös. Ich machte mir Gedanken über die Übergabe der Gastgeschenke. Was sollte ich sagen? Wann war der richtige Zeitpunkt?
Meine Gastmutter und ich erkannten uns sofort und fielen uns in die Arme. Während wir nach Hause liefen, sprach sie extra deutlich, damit ich alles verstehen konnte. In meinem neuen Zuhause fühlte ich mich gleich wohl. Ich entschloss mich dazu, die Gastgeschenke nach dem Essen zu überreichen, als ich mit meiner Gastschwester und meiner Gastmutter auf dem Sofa saß. Leider vergaß ich in diesem Moment das Wort für „Geschenk“. Mit einer erklärenden Handbewegung und genuscheltem Spanisch, das wahrscheinlich keines war, verließ ich den Raum. Als ich mit den Geschenken wieder hereinkam, reagierten sie total erfreut, machten eine riesige Zeremonie aus dem Auspacken und kommentierten alles freudig. Meine Angst wurde mir dadurch genommen, dass die meisten Spanier nicht so verklemmt sind wie die Deutschen.
Gleich in den ersten Tagen passierte so vieles. Meine Gastmutter zeigte mir unser Stadtviertel und nahm mich mit zum Flohmarkt. Ich erkundete die Innenstadt und am Strand lernte ich neue Austauschschüler kennen. Die ersten Tage waren total schön, aber auch total anstrengend. Ich brauchte viel Schlaf und machte fast immer „Siesta“. Ich merkte aber auch, wie sich mein Spanisch von Tag zu Tag verbesserte. Mein erster Schultag war ein voller Erfolg. Ich habe mit Mitschülern gesprochen und wurde total nett aufgenommen. Trotzdem fing ich wie aus dem nichts an zu weinen, als ich nach Hause kam. Es war einfach zu viel. Meine Gastmutter nahm mich in den Arm und tröstete mich. Sie hatte Recht, schon bald fiel mir alles leichter. Am nächsten Wochenende traf ich mich mit ein paar Mitschülern und an die Schule gewöhnte ich mich allmählich.
Trotzdem blieb die Schule für mich einer der heftigsten Kulturschocks. Meine Schule galt als eine der besten der Stadt, trotzdem hatten einige meiner Mitschüler so oft wiederholt, dass sie in der 10. Klasse bereits 18 waren. In Chemie mussten wir das ganze Periodensystem auswendig lernen, und meine Englischlehrerin riet allen Austauschschülern dazu, in ihrem Fach lieber Spanisch zu lernen. Niemand sprach Englisch. Dafür mussten wir in Musik mit der Ukulele eigene Lieder komponieren und vorsingen. Es war einfach alles anders.
Das Jahr schritt voran und ich bildete Routinen. Ich kam jeden Tag um 14.30 aus der Schule, aß zu Mittag und traf meine Freunde. Abends begleitete ich häufig meine Gastmutter beim Gassi gehen. Jede Woche half ich beim Projekt „Solosurf“. Das Projekt bietet therapeutisches Schwimmen für Kinder mit Autismus an. Ich habe dort sehr viel gelernt und bin dankbar für die Erfahrungen, die ich machen durfte. Zu einem richtigen Austausch zwischen deutschen und spanischen Freiwilligen kam es aber leider nicht. In einigen Wochen hat es mich Überwindung gekostet, hinzugehen. Im Rückblick bin ich aber sehr froh, dass ich es gemacht habe. Einmal im Monat gab es ein Treffen mit Rocío, der Koordinatorin. Wir besuchten Museen und es gab die Möglichkeit, über Probleme zu reden. Rocío ist ein sehr herzlicher Mensch und ich kam gut mit ihr klar. Ich hatte aber auch nicht viel mit ihr zu tun, da ich von meiner Gastmutter viel Unterstützung bekommen habe.
Mit dem kalten Dezember und der Einkehr der Routinen kam es –– genau wie durch die Heimwehkurve vorhergesagt –– auch bei mir zum Tiefpunkt. Ich ging jeden Tag etwas zu spät zur Schule, es fiel mir schwer, mich zu organisieren. Ich hatte Angst, von meinen Freunden in Deutschland vergessen zu werden.
Doch selbst an die Vorweihnachtszeit weit weg von zu Hause habe ich viele gute Erinnerungen. Ich backte Plätzchen mit anderen Deutschen und brachte sie dann meinen spanischen Freunden mit in die Schule. Die Spanier kennen keine Plätzchen, meine Freunde haben sich total gefreut. Mit meiner Gastmutter und ihren Freunden backte ich die typisch spanischen Pestiños. Unsere Wohnung entwickelte sich zur Teestube und zum Treffpunkt meiner Freundesgruppe. Wir Austauschschüler tranken alle gerne Tee und meine Gastmutter ließ sich ab und an zu einem überreden, den sie aber nie ganz leerte. Wir saßen im Wohnzimmer und lauschten ihren Geschichten über Cádiz. Auch im Dezember war ich ab und an baden, der Atlantik war wie immer kalt und schön. Unter Austauschschülern zelebrierten wir die Raunächte. Sylvester feierte ich zunächst mit meiner Gastfamilie und dann mit Mitschülern.
Eines der schönsten Erlebnisse des Auslandsjahres war die Klassenfahrt nach Madrid. Von den sechs Austauschschülern aus meiner Klasse, war ich die Einzige, die sich dazu entschieden hatte mitzufahren. Ich war auf einem Zimmer mit zwei guten Freundinnen und genoss die Zeit sehr. Die Stadt ist bezaubernd. Wir machten viel Sightseeing, gingen in den Prado und ins Musical König der Löwen. Es war unfassbar schön.
Das wahre Highlight sind jedoch die vielen Menschen, die ich kennen lernen durfte. Meine Gastmutter, zu der ich immer noch guten Kontakt habe. Und meine Freunde. Wir wohnen alle weit weg voneinander, aber die Freundschaften bleiben bestehen und wenn es geht, fahren wir uns besuchen. Im Sommer trafen wir uns erst in Berlin und fuhren dann ein paar Tage später gemeinsam mit dem Zug nach Venedig.
Am Ende dieses Berichts möchte ich dir als zukünftigem Austauschschüler noch zwei Dinge mitgeben. Dein Auslandsjahr wird wunderbar und anstrengend und einfach nur toll sein. Das Wichtigste dabei sind die Menschen, denen du begegnest. Mach dir keine Sorgen, du wirst problemlos Freunde finden. Ich bin mit Spaniern und mit Austauschschülern befreundet, aber meine besten Freunde sind Austauschschüler. Das ging vielen so und passt auch ziemlich gut. Ihr erlebt die gleichen Sachen. Deswegen werdet ihr euch trotz Sprachbarrieren verstehen, auch wenn du zu müde bist Englisch oder Spanisch zu sprechen. Die allermeisten Austauschschüler sind sehr abenteuerlustig. Ihr werdet immer Unternehmungen planen, spontan baden gehen und wer weiß, vielleicht nach dem Jahr gemeinsam nach Venedig reisen.
Außerdem möchte ich dir mitgeben, dich von den vielen Tipps nicht einschüchtern zu lassen. Am Ende ist es völlig egal, wie oft du nach Hause telefonierst. Probiere einfach, auf Leute zuzugehen, der Rest läuft dann von selbst. Das klingt vielleicht schwierig, doch du wirst schon wissen was zu tun ist. Auslandsjahr heißt einfach mal machen, ausprobieren. Einfach mal leben.
Ich wünsche dir viel Spaß dabei!
Mehr zum Auslandsjahr in Spanien mit Volunta könnt ihr hier erfahren.