Mein Schüleraustausch in Portugal
Emma | |
2022/23 | |
AJA-Stipendium
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Seitdem ich hier bin, stresse ich mich auch weniger. Ich habe gelernt, Dinge viel mehr einfach auf mich zukommen zu lassen und dass es auch in Ordnung ist, wenn man auf manche Frage auch mal keine Antworten hat.
Ich verbringe momentan mein Auslandsjahr in Portugal. Vorher war ich noch nie in Portugal und mir ist direkt aufgefallen, dass die Erzählungen, die ich vorher erzählt bekommen habe, nicht übertrieben waren. An meinem ersten Tag haben meine Gastfamilie und ich den Geburtstag meines Gastbruders auf einem Boot gefeiert und ich kam aus dem Staunen nicht heraus. Weicher Sand, türkisblaues Wasser und zum Schluss konnten wir noch Delfine beobachten. An diesem Tag fiel mir auch direkt auf, dass sehr viel Fisch und Meeresfrüchte gegessen werden.
Nach längerer Zeit ist mir aufgefallen, dass es einen großen Unterschied zwischen Deutschland und Portugal gibt, wenn es um das Erwachsenwerden geht. In Deutschland kenne ich es so, dass man meistens nach dem Schulabschluss auszieht, um in eine andere Stadt, zum Studieren oder für eine Ausbildung, zu ziehen. In Portugal kommt es sehr oft vor, dass man erst auszieht, wenn man heiratet, und wenn man doch in eine andere Stadt zieht, weil es den gewünschten Studienplatz nicht in der eigenen Stadt gibt, zieht man zu Tanten, Onkeln, etc.
Es gab viele Dinge, die anfangs für mich ungewohnt waren und die nun zu meinem Alltag gehören. In Portugal sind viele Einkaufspassagen bis 23 Uhr auf. Das ganze Tagesgeschehen ist länger, und es ist völlig normal, erst gegen Mitternacht schlafen zu gehen.
Anders ist auch das Schulsystem. Es gibt insgesamt fünf verschiedene Bildungssysteme mit spezifischen Fächern (Wissenschaft und Technologie; Sozial- und Wirtschaftswissenschaften; Sozial- und Geisteswissenschaften; Sprache und Literatur; Bildende Kunst). Ich bin im Wirtschaftsbereich und habe die Woche sieben Fächer. In Deutschland hatte ich in der zehnten Klasse 13 verschiedene Fächer von Chemie bis Geschichte.
Ich bin jetzt drei Monate hier und sehe Deutschland schon mit anderen Augen. Ich habe gelernt, Dinge mehr wertzuschätzen. In Portugal ist Sprudelwasser zum Beispiel nicht so verbreitet wie in Deutschland, was am Anfang wirklich eine große Umstellung für mich war. Im Allgemeinen ist mir über mich selbst schon aufgefallen, dass ich sehr viel selbstreflektierter handle. Viele Austauschschüler*innen, und somit auch ich, gehen mit der Angst ins Auslandsjahr, ihre Freund*innen im Heimatland zu verlieren. Jedoch muss ich sagen, dass ich überrascht war, wen ich vermisse und wen nicht. Personen, mit denen ich vorher jeden Tag verbracht habe und bei denen ich überzeugt war, ich werde sie vermissen, vermisse ich nicht. Damit möchte ich jetzt nicht sagen, dass man keine Freund*innen mehr nach einem Auslandsjahr hat, sondern, dass es mir gezeigt hat, was Freundschaft für mich bedeutet, wer meine Freund*innen sind und mit wem man nur aus Gewohnheit Zeit verbracht hat. Ich habe auch mittlerweile eine neue Sicht auf meine Familie. Die enge und gute Beziehung zwischen uns war immer unbestritten, doch nun erkenne ich, wie sehr ich dankbar dafür sein sollte. Ich handle somit in Portugal selbstreflektierter und dankbarer gegenüber allem und jedem.
In den ersten drei Monaten sehe ich auch jetzt schon eine weitere charakterliche Veränderung an mir. Ich bin selbstsicherer. In Deutschland hätte ich mich selbst eher als introvertiert beschrieben, aus diesem Grund bin ich manchmal selbst überrascht davon, wie selbstverständlich ich auf fremde Menschen zugehe und selbstsicher auf Englisch oder Portugiesisch spreche. Seitdem ich hier bin, stresse ich mich auch weniger. Ich habe gelernt, Dinge viel mehr einfach auf mich zukommen zu lassen und dass es auch in Ordnung ist, wenn man auf manche Frage auch mal keine Antworten hat.
Besonders Freude macht mir die Zeit mit meiner besten Freundin. Sie ist eine Austauschschülerin aus Frankreich. Wir haben uns bei einem AFS-Wochenende kennengelernt und seitdem zusammen schon Lissabon und Aveiro erkundet. Besonders schön fand ich daran, dass man alles zusammen als erstes erlebt, aber auch Dinge die man von Freund*innen und Gastfamilienmitgliedern gelernt hat, miteinander teilt. Ich kann mich noch gut daran erinnern, als wir uns das erste Mal in Lissabon getroffen haben und bei jeder Ecke staunend stehen geblieben sind um ganz viele Fotos zu machen. Der Austausch mit anderen Austauschschüler*innen ist für mich sehr wichtig, da sie viele Dinge verstehen, welche weder deine Familie oder Freund*innen im Heimatland oder im Gastland verstehen können. Es kann manchmal sehr frustrierend sein, wenn man das Gefühl hat, dass niemand einen versteht.
Meine Gastfamilie und der Umgang untereinander ist sehr anders im Vergleich zu dem, was ich von meiner Familie aus Deutschland kannte und ich musste mir eingestehen, dass Probleme in der Familie nicht immer was mit mir zu tun haben müssen. Es gab Situation bei denen ich zwischen meiner Gastmutter und meiner Gastschwester (13) gelandet bin und ich musste mich da ab und zu einfach selbst erinnern, dass es diese Konfliktpunkte schon vorher gab und es nichts mit mir zu tun hat bzw. ich sie auch nicht ändern kann. Ich würde nicht sagen, dass ich an großem Heimweh leide, stattdessen würde ich meine Gefühle eher als Vorfreude und Mitteilungsdrang beschreiben. Ich freue mich sehr darauf meiner Familie und meinen Freund*innen in Deutschland alles zu erzählen und zu beschreiben.
Ich werde ihnen von meinem Schulalltag erzählen, wie zum Beispiel, dass es hier total normal ist, dass Schüler*inner und Lehrer*innen erst um 08:35 Uhr erscheinen, obwohl der Unterricht laut Stundenplan um 08:20 Uhr beginnt. Für mich war das anfangs sehr ungewohnt, doch mittlerweile bin ich daran gewöhnt. Damit möchte ich nicht sagen, dass ich immer zu spät bin oder Ähnliches, sondern nur, dass man nicht überrascht sein sollte, wenn Portugiesen die Zeit lockerer nehmen als wir Deutschen.
Eine andere Sache, die ich versuchen werde nach Deutschland zu bringen, ist die portugiesische Leichtigkeit. In meiner Schule läuft in den Pausen immer Musik und es gehört total dazu, dass man auch mal mit Freund*innen singt und tanzt bevor man zehn Minuten später wieder im Matheunterricht sitzt. Das wäre eine Sache, die ich mir an meiner Schule in Deutschland leider nie vorstellen hätte könnte. Wenn ich den Alltag von meinen Freund*innen hier und meinen deutschen Freund*innen vergleiche, erkenne ich ein paar Unterschiede. Die meisten meiner Freund*innen in Deutschland arbeiten als Minijobber*in und am Wochenende trifft man sich dann mit Freund*innen. In Portugal darf man nur unter bestimmten Voraussetzungen mit 18 Jahren anfangen zu arbeiten. Am Wochenende sind vieler meiner Klassenkamerad*innen mit lernen beschäftigt, da am Ende der elften Klasse Prüfungen anstehen und auch während des gesamten Schuljahres sehr viele Klausuren geschrieben werden. Der Grund dafür ist unteranderem der Unterschied im Benotungssystem. In Deutschland zählen in die Gesamtnote mündliche, als auch schriftliche Erfolge, jedoch gibt es das Prinzip von mündlichen Noten in Portugal nicht in einem ähnlichen Ausmaß. Abgesehen von den genannten Punkten gibt es keine großen Unterschiede in den Interessen der Jugendlichen zwischen Deutschland und Portugal.
Zum Schluss würde ich gerne den AJA-Organisationen einen großen Dank aussprechen für das mir entgegengebrachte Vertrauen, mich auf so eine lebensprägende Reise zu begleiten. Ich hab in den erste drei Monaten schon viel über Land, Leute und vor allem mich gelernt, weswegen ich jedem zu einem Schritt ins Auslandsjahr raten würde. Seid immer offen und neugierig für neues und geht auch selbst auf die Menschen zu. Eine Sache, die ich lernen musste, ist, dass ich am Anfang vor lauter Offenheit total überrumpelt war und ich das Gefühl hatte, dass nach und nach das Interesse an mir verloren ging. Aus Gesprächen mit anderen Austauschschüler*innen erkannte ich, dass dies allerdings dazu gehört und man sich davon nicht aus der Bahn werfen lassen muss. Setzt euch nicht mit dem Lernen der Sprache unter Druck und zelebriert auch eure kleinen Erfolge, denn ihr werdet selbst merken, wie ihr nach und nach immer mehr verstehen werdet. Genießt einfach die Zeit, denn die kann euch niemals jemand nehmen.
Mehr Informationen zum Schüleraustausch in Portugal mit AFS findet ihr hier.