Wie wir Gastfamilie für den Schüleraustausch wurden: Eine Reise voller neuer Perspektiven und unvergesslicher Momente
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Auf den Gedanken, Gastfamilie zu werden, sind wir nach und nach gekommen. Das erste Mal in Kontakt mit dem Thema Gastfamilie kamen wir, als eine befreundete Familie ein Mädchen aus Frankreich für ein Schuljahr in ihr Zuhause aufgenommen hat. Sie hatten ein gutes Jahr zusammen und viele schöne Erlebnisse miteinander gehabt. Wir haben das als Zuschauer interessiert mitverfolgt. Dadurch wurden wir schon etwas „angefüttert“.
Dann kam unsere damals 14-jährige Tochter mit dem Gedanken auf uns zu, ein Schuljahr im Ausland zu verbringen. Durch den Kontakt der befreundeten Familie mit AFS haben wir uns im örtlichen Komitee informiert. Mit 16 Jahren verabschiedete sich dann unsere älteste Tochter im September für ein Jahr nach Italien. Wir hatten nun ein Zimmer in unserer Wohnung frei, und entschlossen uns im Juli letztendlich, auch einen Gastschüler aufzunehmen. Die Entscheidung fiel auf einen 18-jährigen aus Argentinien. Zunächst dachten wir, wir machen das als Willkommensfamilie für ca. vier Wochen, da wir es uns nicht vorstellen konnten, für ein Jahr eine fremde Person in unserem Familienleben dabei zu haben. Allerdings wurde nach Ankunft unseres Gastsohnes schnell klar, dass er das ganze Jahr bei uns bleiben soll und eine Bereicherung für unser Familienleben war.
Das Jahr miteinander hat uns Deutschland und unsere Familie wieder mit neuen Augen sehen lassen. Wir haben gelernt, dass auch Argentinier*innen nicht vom Mars kommen (das war am Anfang ein häufiger Satz unseres Gastsohnes, wenn wir ihn mal wieder gefragt haben, ob er dieses oder jenes kennt). Wir haben viel über Argentinien und das Leben dort erfahren und sind nicht mehr so pünktlich wie vorher- aber noch weit vom Pünktlichkeitsverständnis Südamerikas entfernt! Wir haben zusammen Empanadas gemacht, Dulce de Leche kennengelernt und viel Mate getrunken, ohne das Argentinier*innen wohl nicht lange überleben in der Fremde…. Insgesamt hat es unseren Blick auf die Welt geweitet und uns bewusst gemacht, welche Privilegien wir in Deutschland genießen dürfen.
Nach der Verabschiedung unseres Gastsohns vermissten wir ihn sehr. Bis heute haben wir Kontakt mit ihm, kein Geburtstag oder Feiertag wird vergessen. Wir begleiten und in unserem Leben und haben einen Sohn bzw. Bruder hinzugewonnen. Auch wiedergesehen haben wir uns, bei einem Überraschungsbesuch seinerseits zwei Jahre später.
Mit dieser positiven Erfahrung im Gepäck entschlossen wir uns drei Jahre später, als durch den Auszug unserer ältesten Tochter wieder Platz im Haus war, erneut eine Gastschülerin aufzunehmen. Unsere jüngste Tochter (damals 15 Jahre alt) interessierte sich sehr für Asien und speziell Japan, deswegen fiel unsere Wahl auf eine 16-jährige Japanerin. Auch hier lernten wir viel über Kommunikationsart, Kultur und Denkweise, die sehr anders sind als die deutsche; ein Schulsystem, das wenig Raum für freie Gestaltung der Freizeit lässt und ein Gesellschaftssystem, das sich sehr von unserem unterscheidet.
Leider merkten wir nach ca. vier Wochen, dass sich unsere Gasttochter irgendwie nicht so wohl fühlte. Anfänglich vermuteten wir Heimweh, so auch die Aussage der Gasttochter, die sich bei uns sehr wohl fühlte in der Familie. Wir und die Mädchen aus ihrer Klasse versuchten, die plötzlich viele freie Zeit mitzugestalten und führten oft Gespräche, auch mit den Betreuer*innen von AFS. Letztlich bekamen wir aber die Mitteilung von AFS, dass die leibliche Mutter eine vorzeitige Rückreise veranlasst habe. Innerhalb einer Woche mussten wir uns von unserer Gasttochter verabschieden und sie trat nach insgesamt drei Monaten die Heimreise an. Es gab viele Tränen auf beiden Seiten, wir verabschiedeten uns mit Dankbarkeit für die erlebte Zeit voneinander. Leider brach der Kontakt zu ihr kurz darauf ab, bis heute haben wir nichts mehr von ihr gehört.
Wir machten uns danach viele Gedanken, wie wir ihr den Einstieg in Deutschland und unserer Familie vielleicht besser hätten machen können und ob wir etwas falsch gemacht haben. Letztendlich war auch dies ein Lernprozess- wir haben getan und gegeben, was wir konnten und es sollte eben kein ganzes Jahr sein. Unser drittes Gastkind kam ungeplant zu uns, sie musste zwei Wochen nach Ankunft in Deutschland die Gastfamilie wechseln. In der ersten Familie stimmte die Chemie überhaupt nicht. Wir stellten uns als Notfallfamilie für vier bis sechs Wochen zur Verfügung. Da unsere jüngste Tochter in diesem Schuljahr Abitur machte, wollten wir eigentlich kein Gastkind für ein Jahr aufnehmen. Aber nach einigen Wochen war die ganze Familie sich einig- unsere dritte Gasttochter (17 Jahre) aus den USA bleibt bis Juli!
Die USA war uns durch Verwandtschaft dort kulturell schon bekannt (dachten wir), aber da wurden wir wieder einmal eines Besseren belehrt. Wir haben gelernt, dass man auch in den USA beim Bauern kaufen kann und nicht nur im Supermarkt. Viele leckere Koch- und Backrezepte wurden passend zu den US-amerikanischen Feiertagen ausprobiert und einiges über das Universitätssystem dort gelernt. In der Zeit bei uns hat sich unsere Gasttochter für einen Studienplatz beworben, da sie die Schule dort schon beendet hatte. Das war manchmal auch eine Herausforderung, da sie häufig mit zuhause telefoniert und viele Bewerbungen geschrieben hat mit dem Ergebnis, dass sie in dieser Zeit nicht zu 100% in der neuen Kultur ankommen konnte. Mit Verständnis von beiden Seiten, Gesprächen und Selbstreflexion ihrerseits klappte das Ankommen in der neuen Kultur sehr gut. Mittlerweile hat sie ihr Grundstudium in den USA abgeschlossen und lebt schon das zweite Jahr in Deutschland, so dass wir uns auch immer wieder mal besuchen können. Der Kontakt ist nie abgerissen und wir haben ein sehr inniges Verhältnis zueinander.
Rückblickend auf die sehr unterschiedlichen Erfahrungen mit Gastkindern ist es sicherlich am wichtigsten, offen zu sein für andere Perspektiven und nicht mit zu festen Erwartungen an die Sache heranzugehen. Außerdem sollte die ganze Familie hinter der Entscheidung stehen, da das Familiengefüge dadurch sozusagen etwas durcheinandergewirbelt wird und feste Gewohnheiten plötzlich auf dem Prüfstand stehen, wenn man ein Gastkind aufnimmt. Am Ende fügt sich alles neu zusammen und man ist im Idealfall um ein Familienmitglied reicher.
Auf jeden Fall lernt man viel über sich, die deutsche Kultur und Sprache und die Kultur des Gastkindes und erlangt mehr interkulturelle Kompetenz die einem im Alltag sehr weiterhilft.
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